Wandern auf Tiritiri Matangi vor den Toren Aucklands
Zu einem der bedeutendsten Rückzugsgebiete für bedrohte neuseeländische Vogelarten hat sich in den letzten Jahrzehnten die Insel Tiritiri Matangi, 30 Kilometer nördlich von Auckland, herausgeputzt. Hier lässt es sich obendrein wunderbar wandern. Unser Neuseeland-Experte Daniel Hüske hat die Insel für zwei Tage besucht.
Auf geht's zur Insel
Vom Gulf Harbour auf der Whangaparaoa Peninsula starten wir unseren Übernachtungstrip zum Naturschutzgebiet. Alles ist fein säuberlich nach Ungeziefer durchsucht, die Ausrüstung gründlich gesäubert und unsere Lebensmittel sind in einer dichten Plastikbox verstaut. Die peniblen Packmaßnahmen nach einer langen Biosecurity-Checkliste sind notwendig, um Tiritiri Matangi wie schon seit 1993 von Mäusen, Ratten und anderen ungebetenen Gästen frei zu halten.
Mit der Fähre geht es in nur zwanzig Minuten hinüber zum Kleinod im Hauraki Gulf. So bunt und grün, wie es auf „Tiri“ heute zugeht, blickt die Insel doch auf eine karge Vergangenheit zurück. Nachdem seit den 1850ern intensive Farmwirtschaft betrieben worden war, bot sich Besuchern bis in die 1980er-Jahre das Bild einer „öden Weidenkoppel“. Von der ursprünglich reichhaltigen Vegetation war fast nichts übrig.
Nur ein paar unzugängliche Fleckchen und wenige Pohutukawa-Bäume an den Klippen hatten zusammen mit einigen unverwüstlichen Vogelarten überlebt. Doch dann gründete sich die NGO „Supporters of Tiritiri Matangi“, die gemeinsam mit dem Department of Conservation (DOC) für eine komplette Transformation der Insel sorgte.
Alle Vogelfeinde wurden ausgerottet und bis 1994 pflanzte man in einem gigantischen Aufforstungsprogramm fast 300 000 Bäume auf dem 220 Hektar großen Eiland. Bisher sind diese Bäume noch zu jung, um gefiederte Nektarliebhaber wie Hihi, Bellbird oder Tui zu versorgen. Diese Vögel ernähren sich stattdessen vom Zuckerwasser in den vielen Tränken auf der Insel und sind dadurch hervorragend zu beobachten. Inzwischen nennen elf bedrohte Vogelarten Neuseelands die Insel wieder ihr Zuhause, z.B. der seltene Takahe, der Kokako (Graulappenvogel), der Zwergkiwi und der Saddleback (Sattelstar).
Wandern auf Tiritiri Matangi
Die meisten Besucher statten der Insel nur einen Kurzaufenthalt ab und fahren am frühen Nachmittag zurück aufs Festland. Wir haben unsere Tour jedoch lange im Voraus geplant und uns drei der wenigen Bunkhouse-Betten im ehemaligen Leuchtturmwärterhaus gesichert. Wer Ruhe und Abgeschiedenheit sucht, dem sei dies absolut zu empfehlen: Nach Abfahrt der Fähre herrscht eine friedliche Stimmung auf der Insel. Wir teilen uns das Paradies nur noch mit den vielen Vögelns und einer Handvoll Menschen, darunter zwei Ranger und ein paar Freiwilligen.
Auf Tiritiri lässt es sich hervorragend wandern. Das dichte Wegenetz und relativ kurze Distanzen ohne größere Höhenunterschiede laden vor allem Familien zum Erkunden ein. Die meist zerklüftete Küstenlinie ist zwar selten zum Schwimmen geeignet, aber Felsformationen und sogar Höhlen sorgen für Kurzweil.
In der hereinbrechenden Nacht lohnt sich ein erneuter Aufbruch nach draußen, um vielleicht einen Kiwi in freier Natur erleben zu können (bitte nur mit Rotlicht-Taschenlampen!). Uns ist eine solche Begegnung leider nicht vergönnt, obwohl wir ständig die Rufe in unserer Nähe hören.
Bonustag auf Tiritiri
Am nächsten Morgen begrüßt uns ein unvergleichlicher Chor der Vögel, wie wir ihn sonst nur aus den Tropen kennen. Als wir später an der Infotafel im Bunkhouse „Ferry cancelled – Friday 13th“ lesen, empfinden wir die Einstellung des Bootsverkehrs wegen zu viel Wind als glückliche Fügung und freuen uns über den geschenkten Tag.
Wir nutzen die Zeit für ausgiebige Genusswanderungen und Vogelbeobachtungen. Wir genießen die Aussichten aufs Meer, mit weitreichenden Blicken auf Great und Little Barrier Island, die Coromandel Peninsula, Motutapu und Rangitoto Island sowie die zahlreichen Segel im Hafen von Auckland. Wir sehen einen der ältesten Pohutukawa-Bäume Neuseeland (er soll 800 oder gar 1000 Jahre alt sein) und erkunden das Gelände rund um den Leuchtturm von 1864.
Im „Basislager“ wird derweil von emsigen Freiwilligen die Umsiedlung einiger Hihi in ein Vogelschutzgebiet bei Taranaki vorbereitet. Am Abend werden im kleinen Aufenthaltsraum Geschichten aus der bewegten Vergangenheit der Insel ausgetauscht, und wir zivilisationsgeschundenen Besucher spüren ein weiteres Mal ein Stück Freiheit.
Neuseeland hat sich bis 2050 das Ziel gesetzt, sämtliche eingeschleppten Raubtiere auszurotten. Wer nicht solange warten will, der kann sich schon mal einen tollen Vorgeschmack auf diese Zeit auf Tiritiri Matangi holen.
Hintergrund
Einst war ein Großteil Neuseelands von ursprünglichen Wäldern bedeckt, in denen eine bunte Vielfalt an Vögeln das Bild und die Geräuschkulisse bestimmte. Das Vogelkonzert muss ohrenbetäubend gewesen sein. Die Ankunft der Maori, vor allem aber die der Europäer dezimierte die einheimische Vogelwelt stark. Insbesondere die massiven Waldrodungen und eingeführte Feinde wie Ratten und Possum ließen den Bestand der Brutvogelarten um ein Drittel einbrechen.
Zum Glück entstanden schon Ende des 19. Jahrhunderts erste Inselrefugien wie Little Barrier Island im Hauraki Gulf bei Auckland und Kapiti Island bei Wellington. Hier konnte die Uhr zwar nicht gänzlich zurückgedreht werden. Aber durch solche Zufluchtsorte wurde zumindest das Aussterben weiterer Vogelarten wie des Hihi (Stichvogel) oder Kakapo verhindert.
Der Artikel ist in ähnlicher Form im Magazin 360° Neuseeland erschienen.